Klaus Hinrich Stahmer Gerettete Blätter

Gerettete Blätter

für Violine Solo
Dauer: 10'
Kompositionsjahr: 2013
Herwig Zack gewidmet

Bestellung: Verlag Neue Musik

Besetzung:

Hörprobe:


Aufnahmejahr: 2013
Interpret: Herwig Zack

Werktext (PDF)

 „Gerettete Blätter“ gehört zu einer Serie von Stücken, in denen sich der Komponist mit den Naziverbrechen auseinandersetzt. In diesem Fall geht es um Denkverbot, Gesinnungsterror und Bücherverbrennungen: „Mir kam beim Komponieren ein Bild vor Augen: In einem Aschenhaufen entdeckt und behutsam daraus hervorgezogen, erwiesen sich ein paar verkohlte Notenblätter bei näherer Prüfung als Überbleibsel einer vor längerer Zeit aufgeschrieben Musik. Von wem mochten sie stammten? Teilweise nur mit Mühe lesbar, schienen mir die Fragmente in vielen Details und selbst noch in kleinsten Partikeln wie Zeugnisse einer vergangenen Musik. Erinnerungen wurden wach: Die Spuren führten in die Zeit der Bücherverbrennung und der Lager. Von mir gewissermaßen nur noch konserviert und in eine Reihenfolge gebracht, lösten die Fragmente einfühlsam hörendes Nachsinnen aus, ganz als hätte ich sie nur durch Einschübe und assoziativ gewonnene Elemente zu ergänzen und in einen formalen Rahmen einzufügen.“ (KHS)

Zwar klingt die Paraphrase streckenweise wie Musik aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, stammt bis auf einige namentlich gekennzeichnete Stellen jedoch von Stahmer selber. Diese Zitatfetzen stammen aus Solowerken verfolgter und von den Nazis mit Aufführungsverbot belegter Komponisten, namentlich von Erwin Schulhoff, Paul Ben-Haim, Abel Ehrlich und Béla Bartòk. Darüber hinaus gibt es kleine Passagen aus Stücken von Paul Hindemith und Karl Amadeus Hartmann, die auf Distanz zur Unkultur der Machthaber gegangen waren und im Exil beziehungsweise in der inneren Emigration die Schreckensjahre überlebt hatten.

Es gehört zu den Grundprinzipien der Komposition, dass der musikalische Gestus häufig wechselt. Die Vielfalt der Gedanken wird allerdings durch eine dreisätzige Großform zusammen gehalten, die von zwei nachdenklichen Eckteilen im ruhigen Zeitmaß gebildet wird und in deren Mitte ein furioses Presto lugubre (Come una chimera nera) mit seiner maschinenartigen Motorik und frivolen Geschäftigkeit an die Beflissenheit der bei der Bücherverbrennung beteiligten Erfüllungsgehilfen zu erinnern versucht.