Hörprobe:
Aufnahmejahr: 1988
Interpret: Radio Sinfonie Orchester Berlin; Ltg. Klaus Bernbacher
Die MOMENTAUFNAHMEN (SCHWARZ/WEISS) halten Grenzsituationen fest, geben die Unwirklichkeit wieder, wie man sie zwischen Schlafen und Wachen erlebt. Teilweise ist alles so weit ins Dunkel getaucht, daß kaum noch Umrisse erkannt werden können, teilweise herrscht ein fahles Weiß, wo die Dinge kaum noch Schatten werfen: Klangvisionen – zerkratzt und verschabt, ausufernd wie Rotweinflecke auf weißem Tischtuch – am Rande der Stille, Labyrinthe des Denkens. Texte von Ionesco, Plath, Baldwin und Beckett verleihen der Musik faßlicheren Sinn, transzendieren sie zugleich in die Verschlüsselung hieroglyphenartiger, symbolhafter Sprache, die bei aller Härte der Diktion zum wacheren Zuhören verführt. Weiß: das kapriziöse Element im kaum auflösbaren Dunkel, die ironische Distanz zur Bitterkeit des Schwarzen. „Komm Trost der Welt, du stille (?) Nacht…“ Da werden Erinnerungen eingeblendet, Reminiszenzen an den schönen Schein vergangener Zeiten, Blues-artig wird der Tod „besungen“ – natürlich kein jazziges Stück, und doch voller „Blues“, eine Momentaufnahme aus der dunkelsten Stunde, die kurz vor der ersten Dämmerung erfüllt ist von Träumen.Und dann ein helles Bild, freundliche Vision: Reflex auf die Komposition eines befreundeten Musikers, diese zugleich überhöhend, verlassend und auflösend. Ein Scherzo als Mittelsatz des ansonsten eher matt-gestimmten Zyklus. Winterreise un poco giocoso. Als Intermezzo capriccioso – formales Pendant zu Baldwins „Blues“ – die Mirlitonade nach Beckett. Schwarz in schwarz gehalten ist auch der fünfte Satz, ein Nocturne nach Sylvia Plath, in seinerganzen Diktion noch unerbittlicher als der Kopfsatz.
In dieser Version wurden die Momentaufnahmen 1988 in Berlin uraufgeführt. Ein Jahr später fügte Stahmer als Finale „Dans une lumière éclatante“ hinzu (Momentaufnahme VI).