TEFILLOT ist Hebräisch und heißt „Gebete“. Der Titel nimmt Bezug auf ein Gedicht des israelischen Dichters Jehuda Amichai, der 1935 aus Deutschland nach Palästina ausgewandert war und bis zu seinem Tod (2000) in Jerusalem gelebt hat. In seinen Gedichten verarbeitet er die traumatischen Erlebnisse der Nazi-Zeit und legt Zeugnis ab von einem engagierten Leben in Israel. Die Texte lassen tiefe Traurigkeit und zugleich große Offenheit gegenüber der gesellschaftlichen und politischen Realität seiner zweiten Heimat erkennen. Dementsprechend enthält TEFILLOT sowohl Töne der Trauer und Abschnitte der Erinnerung an die Judenvernichtung im Dritten Reich als auch Klänge der Hoffnung und der Lebensbejahung. In einem Gedicht aus Amichais letzten Jahren heißt es: Mazewot nishbarot (Grabsteine zerbrechen), Milim kolfot (Worte vergehen) und Hatefillot nishbarot laád (Gebete bleiben ewig). Fragmentiert wird dieser Text in der Komposition von den Instrumenten in Art eines instrumentalen Rezitativs gespielt, d.h. der Text wird nicht gesprochen oder gesungen sondern quasi „mitgedacht“. Dieselben Textstellen erklingen bei der Aufführung aber auch aus dem Lautsprecher in einer Originalrezitation des Dichters, die wenige Wochen vor seinem Tod in einer Privataufnahme entstand und die in eine soundscape aus vielen weiteren Tonaufnahmen eingebunden ist. Marian Fritsch bezeichnete die Komposition anlässlich der Uraufführung als „eine beeindruckende musikalische Interpretation des lyrischen Werkes des Dichters“ (In: Jüdisches Leben in Bayern 149/2022)
Gebete (TEFILLOT) gibt es in allen drei großen Religionen, die ihr Zentrum in Jerusalem haben. Hier hat Amichai in seinem zweiten Leben gelebt. Er hörte die Glocken der Kirchen, die Gebetsrufe der Muezzin, hörte die Gebete an der Klagemauer, Klänge wie sie in der Zuspielung auftauchen. Diese stehen als Symbol für Hoffnung, kontrapunktisch zu den Erinnerungsklängen, die an anderer Stelle der Komposition erklingen und die an Judentransporte und Tötungsaktionen erinnern. Weitere Elemente der Zuspielung sind Meeresklänge, aufgezeichnet am Strand bei Nahariya an jener Küste, welche die Flüchtlinge als erstes erblickten, wenn sie sich mit dem Schiff ihrer neuen Heimat Palästina näherten. Das Rauschen der Wellen symbolisiert dieses Näherkommen. Amichais Stimme taucht aus den Wassern auf und taucht wieder unter. Und schließlich gibt es noch die Hoffnung weckenden Töne spielender Kinder aus Jerusalem und Tel Aviv und Alltagsgeräusche, wie Amichai sie bei seinem Gang durch die Altstadt gehört hat. Die Zuspielung endet mit einem „Dona nobis pacem, Amen“ aus der gregorianischen MISSA DE ANGELIS. Diese Tonaufnahmen werden von den Instrumenten Gitarre und Vibrafon kommentiert und reflektiert